Sonntag, 17. Juli 2016
Der Frisörbesuch
hildaimglueck, 09:05h
Alle paar Monate bleibt mir leider nichts anderes übrig, als einen Frisörtermin zu vereinbaren. Da es sich für mich dabei nicht um ein beauty-event, sondern vielmehr um ein notwendiges Übel mit ungewissem Ausgang handelt, versuche ich stets, mein Vorhaben schnellst möglich, d.h. mit den derzeit terminlich verfügbaren Angestellten des örtlichen Frisörs zeitnah umzusetzen. Nachdem ich mir zum x-ten Mal von der Chefin die Geschichte mit der Elternzeit und der daraus resultierenden verminderten Stundenzahl einer Dame namens Sonja angehört hatte, erhielt ich für den nächsten Tag einen Termin bei Becky. Wunderbar.
Ich war die erste Kundin, Becky noch nicht da und die Chefin führte ein wohl sehr wichtiges Telefonat; es ging um die Elternzeit einer ihrer Angestellten. Aber dann kam Becky - eine junge, schlanke, rothaarige Frau, noch leicht in eine Nikotinwolke eingehüllt. Sie begrüßte mich freundlich und eröffnete das Gespräch mit einem Bericht über ihre momentane gesundheitliche Situation; sie sei seit fünf Uhr wach, hätte Bindehautentzündung, würde eigentlich nicht richtig sehen und käme gerade vom Arzt. Das hatte mich etwas verunsichert und ich fragte vorsichtig nach, ob sie denn nun arbeiten könne. Sie beruhigte mich jedoch sofort, indem sie mir erklärte, ja sowieso nach Gefühl zu schneiden. Es gäbe zwar Schnittlinien, aber ihr Stil sei eher vom Gefühl geprägt. Ich war ausgeliefert und sie in ihrem Element. Sie hatte sich warm geredet. Ich erfuhr sogleich die Krankheiten ihres Freundes und gratis dazu, welche gerade im Umlauf seien, also genauer gesagt Sommergrippe und Magen-Darm-Infekte.
Warum wird mir so etwas ungefragt erzählt? Strahle ich eine Kränklichkeit oder besonderes Interesse an dieser Thematik aus? Bin ich mittlerweile in einem Alter, in dem man mit mir sicherheitshalber Themen aus einer einschlägigen Apothekenzeitschrift wählt? Eine Freundin berichtete mir neulich von einem Frisörbesuch, wo eine sich genüsslich räkelnde Angestellte von ihrem nächtlichen super Sexerlebnis schwärmte. Hm. Nun gut. Ich beschloss, auf keinen Fall in das Gespräch von Becky näher einzusteigen. Das war aber auch nicht nötig. Sie war voll in Fahrt. Gehört das womöglich zur Ausbildung dazu? Gibt es vielleicht sogar ein Fach "Kundenunterhaltung"? Oder wird man zwangsläufig so nach einiger Zeit, auch wenn man als ganz stille, nicht redefreudige Person eine Frisörlehre beginnt?
Auf jeden Fall wurde es dramatischer. Becky schabte unentwegt in ihrer speziellen Technik einzelne Haarsträhnen stufenweise ab und wir waren mittlerweile auf der Intensivstation mit ihrer kleinen Nichte und einem Baby mit Herzfehler, dessen alkoholkranke Mutter sich nicht kümmerte.
Und dann geschah das Wunder! Plötzlich und unerwartet nahm das Gespräch eine Wendung und ich erfuhr, warum Becky ihren Beruf gewählt hatte. Es war eine Folge traumatischer Erlebnisse. Als Kind wollte sie sich einmal wie ihre Mutter frisieren, drehte sich selber das Pony auf eine dicke Rundbürste, fixierte mit extra viel Haarspray und daraufhin ließ sich die Bürste leider nur noch durch den beherzten Eingriff einer benachbarten Putzfrau entfernen; sie schnitt die verfangenen Haare einfach fein säuberlich wie eine Rasenkante ab. Das Ergebnis war ernüchternd. Ich musste laut lachen.
Doch dann kam es noch besser. Mit dreizehn wollte Becky (sie hatte lange blonde Haare) endlich eine schicke Kurzhaarfrisur und ging zum ersten Mal alleine zum Frisör. Das Ergebnis war auch dieses Mal nicht vorhersehbar und leider nicht mehr zu ändern. Kurze und lange Haare wechselten sich unsystematisch ab; es muss so grausam ausgesehen haben, dass nicht nur Becky, sondern auch ihre Mutter entsetzlich weinen mussten. Mir kamen langsam die Tränen vor Lachen.
Becky blieb gelassen und berichtete staubtrocken weiter vom nächsten Trauma. Sie war etwas älter, hatte endlich die begehrte Kurzhaarfrisur, einen Freund und probierte eifrig diverse Fixiermittel aus, damit die Haare ihre entsprechende Position behielten. Das schränkte leider das Alltagsleben ziemlich ein, denn öffnete man z.B. ein Fenster während der Autofahrt, erstarrte die Frisur auf der entsprechenden Seite zu einem Block, der zum Gefängnis für alle aus Versehen hineinfliegenden Insekten und andere Flugpartikel wurde. Auch das sanfte Streicheln ihres Freundes wurde zum Abenteuer mit Verletzungsgefahr.
An mir wurde weiterhin fleißig geschabt, ich fiel vor Lachen fast vom Stuhl, die Chefin schaute mit seltsam irritierten Gesicht zu uns herüber, und Becky holte zum Finale aus. Sie war zur Hochzeit eingeladen und ging morgens noch zum Frisör. Der Plan war eine Aufhellung ihres Blondtones und eine dezente türkisfarbene Strähne im Pony. Sie wollte ein schwarzes Kleid tragen und hatte das Ergebnis schon vor Augen. Leider entsprach die Realität nach der Fertigstellung überhaupt nicht dem ursprünglichen Vorhaben; der Frisör hatte sie quittengelb eingefärbt und über dem Gesicht verlief quer ein algengrüner breiter Balken. Sie war natürlich der Star des Abends.
Dann war Becky fertig. Leider. Ich wurde noch einmal kurz nass gespritzt, durchgeknetet und zog noch immer grinsend von dannen. Zu Hause habe ich dann festgestellt, dass ich noch nie einen so tollen Haarschnitt hatte.
Danke Becky - danke für alles!
Hilda P.
Ich war die erste Kundin, Becky noch nicht da und die Chefin führte ein wohl sehr wichtiges Telefonat; es ging um die Elternzeit einer ihrer Angestellten. Aber dann kam Becky - eine junge, schlanke, rothaarige Frau, noch leicht in eine Nikotinwolke eingehüllt. Sie begrüßte mich freundlich und eröffnete das Gespräch mit einem Bericht über ihre momentane gesundheitliche Situation; sie sei seit fünf Uhr wach, hätte Bindehautentzündung, würde eigentlich nicht richtig sehen und käme gerade vom Arzt. Das hatte mich etwas verunsichert und ich fragte vorsichtig nach, ob sie denn nun arbeiten könne. Sie beruhigte mich jedoch sofort, indem sie mir erklärte, ja sowieso nach Gefühl zu schneiden. Es gäbe zwar Schnittlinien, aber ihr Stil sei eher vom Gefühl geprägt. Ich war ausgeliefert und sie in ihrem Element. Sie hatte sich warm geredet. Ich erfuhr sogleich die Krankheiten ihres Freundes und gratis dazu, welche gerade im Umlauf seien, also genauer gesagt Sommergrippe und Magen-Darm-Infekte.
Warum wird mir so etwas ungefragt erzählt? Strahle ich eine Kränklichkeit oder besonderes Interesse an dieser Thematik aus? Bin ich mittlerweile in einem Alter, in dem man mit mir sicherheitshalber Themen aus einer einschlägigen Apothekenzeitschrift wählt? Eine Freundin berichtete mir neulich von einem Frisörbesuch, wo eine sich genüsslich räkelnde Angestellte von ihrem nächtlichen super Sexerlebnis schwärmte. Hm. Nun gut. Ich beschloss, auf keinen Fall in das Gespräch von Becky näher einzusteigen. Das war aber auch nicht nötig. Sie war voll in Fahrt. Gehört das womöglich zur Ausbildung dazu? Gibt es vielleicht sogar ein Fach "Kundenunterhaltung"? Oder wird man zwangsläufig so nach einiger Zeit, auch wenn man als ganz stille, nicht redefreudige Person eine Frisörlehre beginnt?
Auf jeden Fall wurde es dramatischer. Becky schabte unentwegt in ihrer speziellen Technik einzelne Haarsträhnen stufenweise ab und wir waren mittlerweile auf der Intensivstation mit ihrer kleinen Nichte und einem Baby mit Herzfehler, dessen alkoholkranke Mutter sich nicht kümmerte.
Und dann geschah das Wunder! Plötzlich und unerwartet nahm das Gespräch eine Wendung und ich erfuhr, warum Becky ihren Beruf gewählt hatte. Es war eine Folge traumatischer Erlebnisse. Als Kind wollte sie sich einmal wie ihre Mutter frisieren, drehte sich selber das Pony auf eine dicke Rundbürste, fixierte mit extra viel Haarspray und daraufhin ließ sich die Bürste leider nur noch durch den beherzten Eingriff einer benachbarten Putzfrau entfernen; sie schnitt die verfangenen Haare einfach fein säuberlich wie eine Rasenkante ab. Das Ergebnis war ernüchternd. Ich musste laut lachen.
Doch dann kam es noch besser. Mit dreizehn wollte Becky (sie hatte lange blonde Haare) endlich eine schicke Kurzhaarfrisur und ging zum ersten Mal alleine zum Frisör. Das Ergebnis war auch dieses Mal nicht vorhersehbar und leider nicht mehr zu ändern. Kurze und lange Haare wechselten sich unsystematisch ab; es muss so grausam ausgesehen haben, dass nicht nur Becky, sondern auch ihre Mutter entsetzlich weinen mussten. Mir kamen langsam die Tränen vor Lachen.
Becky blieb gelassen und berichtete staubtrocken weiter vom nächsten Trauma. Sie war etwas älter, hatte endlich die begehrte Kurzhaarfrisur, einen Freund und probierte eifrig diverse Fixiermittel aus, damit die Haare ihre entsprechende Position behielten. Das schränkte leider das Alltagsleben ziemlich ein, denn öffnete man z.B. ein Fenster während der Autofahrt, erstarrte die Frisur auf der entsprechenden Seite zu einem Block, der zum Gefängnis für alle aus Versehen hineinfliegenden Insekten und andere Flugpartikel wurde. Auch das sanfte Streicheln ihres Freundes wurde zum Abenteuer mit Verletzungsgefahr.
An mir wurde weiterhin fleißig geschabt, ich fiel vor Lachen fast vom Stuhl, die Chefin schaute mit seltsam irritierten Gesicht zu uns herüber, und Becky holte zum Finale aus. Sie war zur Hochzeit eingeladen und ging morgens noch zum Frisör. Der Plan war eine Aufhellung ihres Blondtones und eine dezente türkisfarbene Strähne im Pony. Sie wollte ein schwarzes Kleid tragen und hatte das Ergebnis schon vor Augen. Leider entsprach die Realität nach der Fertigstellung überhaupt nicht dem ursprünglichen Vorhaben; der Frisör hatte sie quittengelb eingefärbt und über dem Gesicht verlief quer ein algengrüner breiter Balken. Sie war natürlich der Star des Abends.
Dann war Becky fertig. Leider. Ich wurde noch einmal kurz nass gespritzt, durchgeknetet und zog noch immer grinsend von dannen. Zu Hause habe ich dann festgestellt, dass ich noch nie einen so tollen Haarschnitt hatte.
Danke Becky - danke für alles!
Hilda P.
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birgitdiestarke,
Sonntag, 17. Juli 2016, 17:47
Eine schöne Geschichte!
Ich habe Frisöre aufgegeben. Wenn ich hier in Dänemark gehe, egal wo, bekomme ich immer Einheitshausfrauenschnitt, egal welche Wünsche ich äussere. Entweder können sie nichts anderes oder ich inspiriere zu nichts anderem ... ;o)
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hildaimglueck,
Montag, 18. Juli 2016, 08:34
Danke:-)
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